Nur eine Ohrfeige?
von Peter Jobst.01.03.2012.
Jahre später in Hectors Haus in einem Vorort von Melbourne: Familien, Freunde, Bekannte griechischer Einwanderer treffen sich zum Barbecue: Cousin Harry verpasst dem 4 jährigen Hugo eine Ohrfeige, als dieser seinen Sohn Rocco bedroht.
Rosie, Hugos Mutter, kompensiert ihre frustrierte Ehe mit dem erfolglosen Pseudo-Künstler und Alkoholiker Gary in dem fanatischen Kampf nach Gerechtigkeit für ihr Kind, das mit 4 Jahren immer noch an ihrer Brust hängt.
In ihrer verzweifelten Suche nach Allianzen bringt sie die Familien ihrer Freundinnen an den Rand des Abgrunds. Anouk, die dem Vorfall ihr Kind abtreibt, der schwule, kurz vor seinem Coming Out stehende Richie und die in Hector verliebt Connie sitzen zwischen den Stühlen.
Dieser Vorfall stellt Werte wie Familie, Freundschaft, Liebe, Sex, Ehe, Erziehung in Frage: Start zu einem kontinuierlich erzählten Ruten- Stafetten- und Amoklauf aus der Perspektive der anwesenden 8 Zeugen (4 Männer + 4 Frauen).
Die Männer sind starke, Testosteron-Gesteuerte komplexe Figuren, die sich nie als Sympathie-Träger anbieten. Sexszenen aus männlicher Perspektive sind in dieser kraftvollen Souveränität und Intensität eine Seltenheit in der heutigen Literatur.
Die direkte deftige Sprache spaltet die Kritiker. Betrug, Gewalt, Sex, Drogen, Glamour, Scheinwelten werden ebenso gnadenlos enthüllt wie Lebenslügen, Scheinmoral, Pseudo-Toleranz zwischen ethnischen Gruppen, Generationen, Geschlechtern.
Rosies Versuch, Harry als brutalen Schläger zu denunzieren, endet für sie mit einem existentiellen Desaster. Da hilft auch nicht die Unterstützung einer engagierten Feministin, die sich als unkompetente Anwältin erweist. Harrys Frau ist am Ende erneut schwanger, eine weitere Schlag für sie.
Christos Tsiolkas trifft mit seinem Roman über zu Wohlstand und Ansehen gelangte Vierzigjährige aus Einwanderer-Familien, die scheinbar ihren Platz gefunden haben, einen neuralgischen Punkt unserer Zeit.
Ein authentisch lebendiges, unterhaltsam spannendes Porträt einer Mitteschicht, die peinlich darauf bedacht ist, ethnische und soziale Unterschiede tarnen. Ganz normale Familien: Ordinary People!